Presse - Gehirne - Gottfried Benn

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"Zerfallen ist Rinde, die mich trug“ -  Südkurier 30.11.2013

Der Künstler Harald Häuser hat Gottfried Benns Novellenzyklus „Gehirne“ illustriert

Autor: Harald Ruppert - Südkurier Kulturredakteur Friedrichshafen

 

Die Beziehung des Künstlers Harald Häuser zur Literatur von Gottfried Benn reicht weit zurück. „Als wir in der 12. Klasse im Bildungszentrum Markdorf bei unserem Deutschlehrer Dr. Barisch Benn durchnahmen, hat mir die Schule erstmals wieder Spaß gemacht“, erinnert er sich. Dass seine Liebe zu Benn aber Jahrzehnte später seine eigene künstlerische Arbeit berühren würde, hätte er nicht gedacht. Doch nun ist beim Moloko-Verlag (Sachsen-Anhalt) Gottfried Benns Novellenzyklus „Gehirne“ erschienen, versehen mit 24 Zeichnungen von Harald Häuser. Benns Erben und der Klett-Cotta-Verlag fanden Häusers Zeichnungen passend und haben dem Druck zugestimmt.

Benns Novellen erschienen 1916 – vier Jahre, nachdem sein erster Gedichtzyklus „Morgue“ erschienen war. Diese Gedichte lösten einen Sturm der Entrüstung aus, denn der damals 26-Jährige machte Leichen, körperliches Siechtum, Fäulnis, die Säfte der Zersetzung zu Themen der Lyrik. Der Grund war einleuchtend: Benn war selbst Arzt. In Berlin kam er über die Psychiatrie zum Spezialfach der Haut- und Geschlechtskrankheiten. Vor dem Hintergrund dieser Erfahrungen hat der Mensch als „Krone der Schöpfung“ in Benns Lyrik ausgedient. „Lasst euer ewiges ideologisches Geschwätz, euer Gebarme um etwas ‚Höheres', der Mensch ist kein höheres Wesen“, schrieb Benn noch 1952.

Diese Brille der Werte abzulegen bedeutet, Sinnzusammenhänge grundsätzlich infrage zu stellen.

Ein Weltbild geht dabei entzwei, wie bei vielen Schriftstellern der damaligen Zeit, die heute demExpressionismus zugeordnet werden. Generell passten die alten Schablonen der Wahrnehmung nicht mehr auf eine sich radikal verändernde Wirklichkeit: Eine Industrialisierung, die Menschen als Arbeiter zu Maschinen macht, das steigende Lebenstempo und die sogenannte Reizüberflutung in den Städten, schließlich der Erste Weltkrieg, mit dem ein Zeitalter untergeht – Benns persönliche Erfahrungen als Arzt waren eingebettet in größere Verwerfungen.

So wie Benn ist auch Rönne, die Hauptfigur im Band „Gehirne“, ein junger Arzt. Zugleich ist Rönne im Grunde ein Fall für die Psychiatrie, denn er hat kein stabiles Ich mehr. Seine Persönlichkeit und die Umwelt zerfließen ineinander, nichts ist mehr an seinem Platz: „Ich habe keinen Raum mehr hinter den Augen. Der Raum wogt so endlos“, heißt es, und: „ Er sei keinem Raum mehr gegenüber; er habe keine Macht mehr über den Raum, äußerte er einmal; lag fast ununterbrochen und rührte sich kaum.“ Für Rönne verliert der Bezug zur Welt um ihn herum seine Selbstverständlichkeit. Seine Beobachtungen in einem Café gleichen denen eines Außerirdischen, der all das zum ersten Mal sieht: „Auf allen Tischen standen Geräte, welche für den Hunger, welche für den Durst.“ Rönne steht außerhalb. Was er beobachtet, stößt fremd an ihn oder gleitet schlicht an ihm vorbei. Einer, der so seinen Platz verliert, ist auch beruflich handlungsunfähig. Rönnes Aufgabe, für einige Tage den Chefarzt zu vertreten, scheitert schon bei Gesprächen mit den Mitarbeitern: „Wenn er sich gesprächsweise zu dem Verwalter oder der Oberin über irgendeinen Gegenstand äußern sollte, wenn er fühlte, jetzt sei es daran, eine Äußerung seinerseits dem in Frage kommenden Gegenstand zukommen zu lassen, brach er förmlich zusammen.“

Brüchig ist nicht nur die Verbindung zwischen Ich und Umwelt, sondern auch zwischen Ich und Es. Das Bewusste, das Unbewusste und die Außenwelt fluten zu einem Durcheinander von Formen, Farben und Bedeutungen, die in Rönne wiederum unabsehbare Assoziationsketten erzeugen. Unter diesen Bedingungen wird ein schlichter Spaziergang zur gewaltigen Aufgabe – Rönne geht umher, versucht, sich zusammenzureißen: „Aufzunehmen gilt es, rief er sich zu, einzuordnen oder prüfend zu übergehn. Aus dem Einstrom der Dinge, dem Lauschen der Klänge, dem Fluten des Lichts die stille Ebene herzustellen, die es bedeutete.“

Doch das gelingt nicht. Das Gesehene und Gehörte führt Rönne in einen abdriftenden Strom von Gedankenverbindungen, der Benns Prosatext zur schwer verständlichen Dichtung macht, welche vom Boden der Tatsachen nur noch Stichworte aufnimmt und sie zu freien Bildern verwebt: „Auf Flügeln geht dieser Gang – mit meinem blauen Anemonenschwert – in Mittagssturz des Lichts – in Trümmern des Südens – in zerfallendem Gewölk – Zerstäubungen der Stirne – Entschweifungen der Schläfe.“

Gefasel ist das freilich nicht. Benn findet eine dichterische Form für Rönnes assoziatives Fluten, und ebenso ist es mit den Zeichnungen von Harald Häuser: sie binden das Unkontrollierte, ohne es einzuengen; das macht ihre Qualität aus. Im Mäandern der Linie entsteht Blatt für Blatt ein Gewebe, das die Assoziationsstruktur von Rönnes Denken in die Kunst überträgt. Häusers Linienführung ist schweifend im Ganzen und erregt im Detail; im Fließen und aus dem Fließen heraus findet sie ihre Mikromotive, die sich in ihren Verschlingungen zu einem oft monströsen Ganzen verknüpfen. Man findet in diesem Ganzen stets den Bezug zu einer bestimmten Stelle im Text – wird aber nicht schlau daraus, ob die Zeichnung nun beim Textbezug ihren Ausgang nahm oder sie den Text nicht umgekehrt eher beiläufig streift und im Zeichenverlauf die Detailmotive im Vordergrund standen.

Harald Häusers Zeichnungen sind vom sogenannten „automatischen Schreiben“ beeinflusst. Dabei wird versucht, das Unbewusste den Stift führen zu lassen. Dazu muss man ihn aber der Gestaltungsabsicht des Bewusstseins entreißen. Ein Mittel hierzu ist Schnelligkeit – die Hand versucht, schneller zu zeichnen als das Bewusstsein die Bewegung steuern kann; entsprechend erregt wirken die Ergebnisse, etwa bei Henri Michaux. Das Bewusstsein wird so wohl nicht gänzlich ausgeschaltet, aber vielleicht lässt sich das Unbewusste so doch an die Oberfläche holen, wo es sich mit dem Bewusstsein verbindet. Was in Rönnes Gehirn unkontrolliert zusammenfließt, wäre so von der Kunst bewusst herbeigeführt – und von Harald Häuser als Zeichnung zu Papier gebracht. Ließen sich solche Zeichnungen restlos entschlüsseln, wären sie zu kurz gesprungen. Harald Häuser hat schon vor Jahren zu einer Zeichenschrift gefunden, die halb wie geschriebene Buchstaben wirkt, halb wie eine freie Zeichnung. In der Wechselwirkung entstehen Hieroglyphen, davor gefeit, sich ganz in der Verständlichkeit aufzulösen.

Eine deutliche Sprache sprechen Harald Häusers Benn-Zeichnungen trotzdem: Ein geordnetes Bild vom Menschen wird mit einer Vehemenz aufgelöst, die man auch von Herbert Kitzel kennt. Je mehr die intakte, aber auch verkrustete geistige Hülle schwindet, desto mehr tritt er als bloßer Körper in Erscheinung – als Fetzen und Fragment. Konsequent führt ja auch Benn den Menschen auf den Leib zurück. Rönne lässt er über die anatomischen Grundlagen der geistigen Gesundheit nachdenken: „Wenn die Geburtszange hier ein bißchen tiefer in die Schläfe gedrückt hätte...? Wenn man mich immer über eine bestimmte Stelle des Kopfes geschlagen hätte...? Was ist es dann mit den Gehirnen?“

Zieht man vom Menschen alles „Gebarme“ ab, wie Benn sagt, bleibt der Leib, und als dessen Zentrum das nackte Gehirn. Häusers Zeichnungen wirken „gehirnschlaufenhaft“ auch dort, wo sie anderes zeigen. Die Linien gleiten nicht nur von Assoziation zu Assoziation, sie geben zugleich kühl die Hirnrinde wieder. „Zerfallen ist Rinde, die mich trug“, schreibt Benn, biegt die Hirnhälften auseinander, sieht interessiert hinein – und Harald Häuser tut's ihm gleich.

Gottfried Benn: Gehirne, 82 Seiten mit 24 Zeichnungen von Harald Häuser, erschienen bei Moloko Print. Preis 15 Euro, ISBN 978-3-943603-07-1

( Bildunterschrift - ebenso von  Harald Ruppert)

Harald Häusers Zeichnungen wachsen und wuchern wie die Gedankenflüge in den Novellen Gottfried Benns, auf die sie sich beziehen. Jede Zeichnung löst sich auf in eine Vielzahl miteinander verketteter Einzelmotive und ergibt dennoch zugleich ein übergeordnetes Ganzes. Die Zeichnungen greifen konkrete Textstellen auf, sind aber keine bloßen Illustrationen, denn Häuser findet eine grafische Form für die von Benn formulierte Bewusstseinslage: Bisherige Welt-und Menschenbilder sind zerstört, feste Ordnungsmuster gibt es nicht mehr und an ihrer Stelle tritt nun die assoziative Verknüpfung.

 
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